Zum ersten Mal auf 40 Meter gehen, zum ersten Mal ein richtiges Wrack erkunden: Für meine CMAS**-Ausbildung mit dem Sportunion FC Graz gehe ich weit über meine Komfort-Zone hinaus und erlebe einen überwältigenden Anblick, den ich nie erwartet hätte.
Unruhig schlief ich die Nacht vor unserem Lina-Tauchgang. Hunderte Sachen gingen mir durch den Kopf, ich war unsicher, ob ich es tatsächlich wagen sollte. Im Buddyteam mit meinem Tauchlehrer Ric, ein sehr erfahrener Taucher, der Ruhe und Sicherheit ausstrahlt, fühlte ich mich dann doch gut – und es konnte losgehen. Am 2. Juni führte mich also mein Tauchgang Nummer 88 zur Lina, die 1914 am Kap Pecenj der Insel Cres in unmittelbarer Küstennähe sank. Sie hatte hochwertiges Mahagoniholz geladen und war auf dem Weg nach Sizilien. Man sagt, die Besatzung habe sich vollständig retten können.
Wir starteten vom Boot aus, die Sicht war mittelmäßig, wir stiegen relativ schnell ab, in Richtung Lina. Ich spürte, wie es ziemlich plötzlich kalt wurde. Vor mir war alles nur blau: Ein gleichmäßiger Nebel umgab mich, in dem das Sonnenlicht schimmerte. Die Oberfläche war schon bald nicht mehr zu sehen.
Auf 27 Meter Tiefe zeichnete sich auf einmal ein dunkler Schatten vor mir ab. Wir kamen näher und wie eine riesige Wand tauchte der Bug der Lina aus dem Nebel auf. Ich schwebte etwa halber Höhe, konnte nach oben zu ihrer Spitze ebenso blicken wie nach unten, wo das gewaltige Schiff auf dem Meeresgrund liegt. Sie ist ein altes Schiff, ein Stahldampfer Baujahr 1879, gebaut in Großbritannien. Man kann ihre Schönheit durch den wilden Bewuchs noch erahnen. Sie war ein Dampfer – damals eine Innovation –, aber ihre Silhouette war schlank gehalten wie die der alten Segelschiffe. Die schiere Größe dieses Objekts, seine unheimliche Farbe und die Details im düsteren Nebel versetzten mir einen richtigen Schock. Ich hatte das Gefühl, mein Herz bleibt stehen. Ich riss meine Hände vor den Mund, obwohl der Regler dazwischen war, japste ein paar Mal in den Schlauch und bemühte mich, ruhig zu atmen. Wir versteinert schwebte ich da, drehte den Kopf in alle Richtungen und sah dieses Schiff – es war wie einem 3D-Film mit diesen Virtual-Reality-Brillen, nur dass das die Realität war … Als ich wieder bei Sinnen war, machte ich ein Foto. Es sollte das einzige bleiben, da meine Kamera den Geist aufgab.
Ich schwamm an der Seite von Ric näher ans Schiff heran und langsam folgten wir der Steuerbordseite immer weiter in die Tiefe. Die Lina schmiegt sich an den Meeresboden an, ihr Bug liegt also höher als ihr Heck, das sich 55 Meter unter dem Meeresspiegel befindet. Dieser Teil ist nur für technische Taucher erreichbar. Wir gingen nur bis zur Hälfte, wo sich die 40-m-Grenze befindet. Der Rumpf des Schiffs ist intakt und völlig überwachsen mit Schwämmen. Der Laderaum ist frei. Zwischen den überwucherten Streben sah ich Fische und Taucher, die sich durch die Gänge tummelten. Der Umkehrpunkt für Sporttaucher ist der umgestürzte Kamin. Wir schwammen jedoch nicht hindurch, sondern neben ihm vorbei und machten uns Backbord zurück auf den Weg in seichtere Höhen. Ich zog an Aufbauen, Masten und Kränen vorbei, die im Nebel und schwachem Licht schimmerten. Am Ende blickte ich mich noch einmal um und sah nun den Bug aus der Vogelperspektive unter mir nach unten ragen – ein gespenstischer, erhabener Anblick!